Geleitwort

Schulprofilierung im Zeichen von Wissenstransfer und internationaler Kommunikation – Das Einstein-Gymnasium Potsdam vergewissert sich seiner Vorgängereinrichtungen: Realgymnasium und Vorschule
 
Frank Tosch
Das 1991 neugegründete Potsdamer Einstein-Gymnasium versteht sich zurecht in der Tradition des ehemaligen Städtischen Realgymnasiums, in dessen am 21. April 1909 eingeweihten Neubau die Schule seit 1994 untergebracht ist.
Auch wenn die Identifikation des Einstein-Gymnasiums heute maßgeblich über dieses – in neuem Glanz erstrahlende – Hauptgebäude an der Ecke Hegelallee (damals Kaiser-Wilhelm-Straße) / Schopenhauerstraße (damals Hohenzollernstraße) bestimmt wird, ist die Geschichte des Potsdamer Realgymnasiums älter. Der 1909 erfolgte Einzug in das repräsentative Schulhaus war zweifellos eine bemerkenswerte Etappe einer bereits seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts von den städtischen Behörden unterstützten realistisch orientierten höheren Bildung für Knaben in Potsdam.

 

Die Geburtsstunde des Realgymnasiums fällt Ostern 1854, genauer am 24. April, wurde die Schule als sechsklassige Realschule (VI-I) eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Zusammenfassung von Realklassen, die seit 1835 als Zweig des humanistischen Gymnasiums (ehemaliges Viktoria-, heute Helmholtz-Gymnasium) existierten, zu einer eigenständigen Realschule. Als Schulhaus diente zunächst das Gebäude des „Schullehrer-Seminars“ in Potsdam (ehemals „Am Kanal“ 62), das zuvor nach Köpenick verlegt wurde. Die erste Abschlussprüfung fand Ostern 1855 statt.

 

Erster Direktor war der Mathematiker, Naturwissenschaftler und Neusprachler Dr. Ernst Wilhelm Baumgardt (1818-1890), der die Schule 36 Jahre (!) bis zu seinem Tode am 31. Mai 1890 geleitet hat.

 

Baumgardt hatte u.a. 1855 eine pädagogische Abhandlung über „Ursprung, Methode und Lehrplan der Realschulen“ veröffentlicht und ein Jahr später die „Flora der Mittelmark“ herausgegeben.

 

1859 erhielt die Schule die Anerkennung als Realschule 1. Ordnung. Schulen dieses Typs wurden seit 1882 als Realgymnasien bezeichnet. In diesem Namen drückt sich der vermittelnde Gedanke aus, im Fächerkanon das klassisch humanistische Lateinangebot (bei Verzicht auf Griechisch) mit realistischen Fächern, also mathematisch-naturwissenschaftliche Inhalte unter Betonung der modernen Fremdsprachen (Französisch und Englisch) zu unterrichten.

 

Im Jahre 1900 wurde das Abitur des Realgymnasiums in seinen Berechtigungen dem humanistischen Gymnasium gleichgestellt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg avancierte so das Städtische Realgymnasium wegen seiner großzügigen Anlage und modernen Ausstattung sowie auf Grund seines vermittelnden Fächerkanons zwischen dem humanistischen Viktoriagymnasium und der Potsdamer Oberrealschule (ehemals „Am Kanal“ 66) zu einer attraktiven Alternative.
Die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse in der Weimarer Republik brachten wichtige Veränderungen: Erstmals legten einzelne Mädchen an dieser höheren Knabenschule ihr Abitur ab.

 

Inhaltlich wurde der Schultyp von 1924 bis 1933 in ein Reformrealgymnasium nach dem sogenannten „Frankfurter System“ umgewandelt. Tragende Veränderung war, dass der ursprünglich in Sexta (heutige Klassenstufe 5) beginnende klassisch-grundständige Lateinunterricht erst ab Untertertia (heutige Klassenstufe 8) einsetzte und in den unteren drei Klassen (Sexta, Quinta und Quarta) ausschließlich Französisch als moderne Fremdsprache gelehrt wurde. Der Beginn der zweiten modernen Fremdsprache Englisch wurde nach Untersekunda (heutige Klassenstufe 10) verlegt.

 

Im Zuge der Einführung von Arbeitsgemeinschaften in den oberen Klassen ist zumindest erwähnenswert, dass sich unter den Angeboten auch „Physikalische, Chemische und Biologische Übungen“ sowie ein Spanischkurs befanden. Damit knüpft das heutige Profil der Schule an ein tradiertes ‚realgymnasiales Grundmuster’ erfolgreich an.

 

Zum Abiturientenjahrgang 1925 gehörten beispielsweise die Enkel Kaiser Wilhelms II., die Prinzen Wilhelm und Louis Ferdinand. Letzterer hatte sich gemeinsam mit dem „Verein ehemaliger Potsdamer Realgymnasiasten“ nach der Wende für den Einzug des heutigen Einstein-Gymnasiums in das traditionsreiche Gebäude am Park Sanssouci verdient gemacht. Zu den Abiturienten zählte auch Helmuth James Graf v. Moltke, der als einer der führenden Köpfe des „Kreisauer Kreises“ sein mutiges Eintreten gegen das Hitler-Regime mit dem Leben bezahlte. An ihn erinnert heute eine Gedenktafel am Schulgebäude.

 

1937/38 wurde aus dem Realgymnasium die „2. Städtische Oberschule für Jungen“, die nun nach dem Innenminister des NS-Staates Wilhelm Frick benannt wurde.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Gebäude schnell wieder der Unterrichtsbetrieb aufgenommen. Nun allerdings zunächst im wechselnden Vor- und Nachmittagsrhythmus zweier Einrichtungen, weil hier auch die „1. Städtische Oberschule“ (ehemalige Oberrealschule) Platz finden musste. Deren Gebäude war beim Luftangriff auf Potsdam am 14. April 1945 zerstört worden.

 

Doch nur eine kurze Nachkriegsentwicklung sollte der 1946 so benannten „Einsteinschule“ beschieden sein. Am 7. Juni 1950 kommentierte die „Märkische Volksstimme“ die Sicht der neuen Machthaber: „Die Einsteinschule wurde als Oberschule aufgelöst, da sie sich des großen Namens Albert Einsteins nicht würdig erwies. Die Einsteinschule der alten Form bedeutet eine Gefahr für unseren demokratischen Aufbau.“

 

Es gehört zur Geschichte der Schule, dass nach dem schrecklichen Krieg erneut freier Meinungspluralismus behindert, ja zur Ausgrenzung und schließlich u.a. zur Gruppenflucht einer Klasse über Westberlin nach Bremen führte. Zum dunklen Kapitel der Nachkriegsschulge- schichte gehört auch, dass drei Schüler für ihr freiheitliches Denken und Handeln ihr junges Leben verloren; weitere Schüler Opfer politischer Repressalien wurden. Mit einer Gedenktafel wird an diese Schüler heute im Schulhaus erinnert.

 

Es zählt daher zu den wichtigen Erfahrungen einer seit 1989 im Osten Deutschlands eingeleiteten grundlegenden demokratischen Entwicklung, dass die Heranbildung freier, mündiger und kompetenter Bürger in einer demokratischen Gesellschaft zugleich der sicherste Garant für deren Wahrung und Weiterentwicklung ist.

 

Ab Herbst 1950 waren im Gebäude zunächst die „Arbeiter- und Bauern-Fakultät“, später Fachbereiche der Pädagogischen Hochschule bzw. der Universität Potsdam untergebracht.
Die Schule hat sich seit den 1990er Jahren (erster Schulleiter: Dr. Rainer Wertmann) zu einer wichtigen Stätte erweiterter Allgemeinbildung auf dem Weg zum Abitur in Potsdam entwickelt. Sie unterstützt z.B. pädagogische Schulpraktika im Rahmen der Lehrerbildung und kooperiert hier- zu mit der Universität Potsdam.

 

Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass im zweiten, heute ebenfalls zur Schule gehörenden Gebäude in der Schopenhauerstraße (damals Hohenzollernstraße 22) an der Ecke zur Gutenberg- (früher Junker-) straße sich die sogenannte „Städtisches Vorschule“ befand. Dieses Gebäude wurde im April 1904 eingeweiht. An dieser Einrichtung wurden die Schüler bis zur Weimarer Zeit in einem dreijährigen schulgeldpflichtigen Elementarunterricht auf den Eintritt in die höheren Schulen der Stadt vorbereitet. In der DDR nutzte seit 1950/51 die Schule 2 das Gebäude, in dem eine zehnklassige polytechnischen Oberschule und nach der Wende zunächst eine Grundschule eingerichtet war.
Kurzum, es lohnt sich heute an eine fast 170-jährige Realgymnasialtradition sowie an eine fast 115- bzw. 120-jährige Baugeschichte beider Häuser des heutigen Einstein-Gymnasiums zu erinnern.

 

Historische Erfahrungen können die Brücke zu aktuellen gymnasialen Herausforderungen bilden und Eckpfeiler für einen historisch begründeten Profilierungsgedanken der Schule sein. Vielleicht werden so weiter Schulgeschichten lebendig, die sich zu einer eigenen Schulgeschichte verdichten lassen. Die ehemalige Realgymnasialstruktur band mathematisch-naturwissenschaftliche Inhalte und neufremdsprachliche Angebote – unter Wahrung von Latein – in eine Gesamtkonzeption auf dem Weg zum Abitur ein. Albert Einstein (1879-1955) als Namensgeber des heutigen Gymnasiums steht für beide Perspektiven: für mathematisch-naturwissenschaftlichen Wissenstransfer und für internationale Kommunikation.
 
 
 

 

Der Autor:
apl. Prof. Dr. phil. habil. Frank Tosch, lehrt und forscht an der Universität Potsdam am Department Erziehungswissenschaft im Bereich der Historischen Bildungsforschung, zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. die preußischen Gymnasien.
Vgl. u.a. Tosch, Frank: Gymnasium und Systemdynamik. Regionaler Strukturwandel im höheren Schulwesen der preußischen Provinz Brandenburg 1890-1938. Bad Heilbrunn: Klinkhardt-Verlag, 2006.